"Migrant Mother" von Dorothea Lange

Dokumentarfotografie: Das steckt dahinter

Romy Schönwetter

Ein Druck auf den Auslöser und schon erscheint es auf dem Display meiner Digitalkamera: ein Abbild meiner Wirklichkeit, eine Momentaufnahme, ein Stück Persönliches. Doch zählt mein Foto dann schon zur Dokumentarfotografie? Ist ein Bild nicht immer in gewisser Weise dokumentarisch? FOTOGRAFIE DER ZEIT auf Spurensuche.

Dokumentarfotografie. Ein leicht verständliches Wort und jeder hat schnell eine Vorstellung davon, um was es sich handelt. Doch je länger man nachdenkt, desto mehr verschwimmt das einst so klare Bild von diesem Wort.

Dokumentarisch oder nicht dokumentarisch, das ist hier die Frage

Klickt man sich durch die fast 70.000 Ergebnisse der Google-Suche zu Dokumentarfotografie – oder zumindest durch die ersten beiden Suchseiten – hat man schnell eine Vorstellung davon, was damit gemeint ist. Um es mit den Worten des allseits beliebten Enzyklopädie-Giganten Wikipedia zu sagen:

„Die Dokumentarfotografie ist eine Art des Fotografierens, deren Motivation es ist, ein fotografisches Dokument herzustellen, das für das Festhalten der Realität, als Zeit-Dokument, als Appell oder auch Warnung genutzt werden soll.“

Schlussfolgerung: Ja, prinzipiell kann jedes Foto dokumentarisch sein. Zumindest, wenn es gemacht wurde, um die Realität festzuhalten. Und ist das nicht das Ziel eines jeden Fotografen: Realität festzuhalten? Zumindest die eigene, persönliche Realität zu genau diesem Zeitpunkt. Demnach gibt ein Dokumentarfotograf auch immer ein Stück seines Selbst in seinen Fotografien preis.

Dokumentarfotografie und ihre Geschichte – kurz und knapp

Dokumentarfotografie: „Migrant Mother“  von Dorothea Lange

„Migrant Mother“ von Dokumentarfotografin Dorothea Lange, Februar/März 1936. Foto: Creative Commons

So weit so gut. Ich möchte hier niemanden mit gedankenschweren, fototheoretischen Literaturausführungen über Dokumentarfotografie langweilen, doch so viel sei gesagt: Im Zusammenhang mit Fotografie wurde der Begriff „dokumentarisch“ das erste Mal in den 1920er und 1930er Jahren in Reportagen erwähnt. Laut Timm Starl, 2003, wurde „bis zum Ende des 19. Jahrhunderts – ohne den Begriff zu verwenden – jede Fotografie als dokumentarische angesehen.“

Einen erheblichen Beitrag zur Verbreitung der Begrifflichkeit Dokumentarfotografie hat die US-amerikanische Regierung geleistet: Sie hat die sogenannte „Farm Security Administration“ (FSA) zu Zeiten der „Great Depression“ um 1930 damit beauftragt, eine fotografische Dokumentation über die mittellose Bevölkerung in ländlichen Gebieten zu erstellen.

Das Ziel: Ein authentisches Abbild der damaligen Lebensumstände schaffen: Möglichst real und natürlich, mit fotografischer Botschaft und die sozialen Missstände aufdeckend. Die FSA-Fotografen um Walker Evans, Gordon Parks und Dorothea Lange sind noch heute für die Momentaufnahmen dieser Zeit bekannt. Vor allem Langes Foto „Migrant Mother“ hat einen festen Platz innerhalb der Dokumentarfotografie.

Um diese Form der Fotografie von dem bisher künstlerischen Verständnis abzuheben, wurde der Begriff Dokumentarfotografie eingeführt. Wie so oft braucht es im Leben eben einen konkreten Namen, um Dinge begreifbar zu machen. Das ist allerdings auch der Grund dafür, dass die Dokumentarfotografie es noch immer schwer hat, heute wieder als wichtiger Teil der Fotokunst wahrgenommen zu werden.

Romy Schönwetter
Romy Schönwetter

Ich bin immer auf der Suche nach spannenden Geschichten und Fotografien, die mich zum Staunen oder Nachdenken bringen. Für FOTOGRAFIE DER ZEIT blogge ich über die Themen Zeitgeschichte, Dokumentarfotografie und Fotokunst.

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